Die Histamin-Intoleranz (Histaminose) – eine oft unentdeckte Krankheit?

Von |Veröffentlichung: 01. Oktober 2017|Aktualisierung: 20. Juli 2023|Ansichten: 44128|Kategorien: Ernährung, Krankheiten, Reizdarm|Lesezeit: 5,7 min|

Histamin-Kreide_16160921_sDie sog. Histamin-Intoleranz (Histaminose)

Bei der sog. Histamin-Intoleranz (HIT) kann es zu vielen verschiedenen Beschwerden kommen, die durch ein Ungleichgewicht bzw. eine Störung im Histamin-Stoffwechsel ausgelöst werden.

Mögliche Beschwerden sind:

  • Reizdarm-Symptome wie Bauchschmerzen, Magenbeschwerden „Gastritis“
  • Kreislaufprobleme, niedriger Blutdruck
  • Herzrasen, Herzrhythmusstörungen
  • Kopfschmerzen, Migräne
  • Schnupfen, verstopfte Nase (nach dem Essen)
  • “Rotwein-Unverträglichkeit”
  • Hautveränderungen, Urtikaria (Nesselsucht)
  • Flush (Hautrötung)
  • Asthma
  • Regelschmerzen (PMS)

Die Symptome sind sehr vielfältig und wechselhaft, wodurch die Diagnose oft erschwert wird. Histamin wird im Körper selber gebildet und auch durch bestimmte Lebensmittel aufgenommen, so dass die Ernährung eine Rolle bei der Entstehung und Therapie spielen kann.

Grundlagen

Histamin ist ein natürlicher körpereigener Stoff, der lebenswichtig für den Menschen ist und viele wichtige Funktionen im Körper hat.  Histamin wirkt u.a. als Gewebs-Hormon und als Neurotransmitter (Gehirnbotenstoff). Es gibt daher eigentlich keine Intoleranz gegen diesen lebenswichtigen körpereigenen Stoff. Genauso wie es keine Intoleranz gegen Testosteron oder Adrenalin gibt, beides ebenfalls körpereigene Stoffe/Hormone. Der Begriff Histamin-Intoleranz ist daher falsch, hat sich aber eingebürgert. Probleme in Bezug auf Histamin enstehen vielmehr dadurch, dass der Stoffwechsel insgesamt gestört ist und es zu einem Ungleichgewicht bzw. einer Überlastung mit Histamin kommt. Dies bezeichnet man als Histaminose oder wenn es nur das Gehirn betrifft als Histadelie.

 

Die Diagnostik

Bei Verdacht auf eine Histamin-Intoleranz, z.B. aufgrund von Beschwerden nach dem Verzehr von entsprechenden Lebensmitteln u./o. einem Mangel an dem Enzym DAO im Labortest, besteht die Möglichkeit, eine Histamin-arme Ernährung durchzuführen (sog. „diagnostischen Diät“). Bei diesem Auslassversuch sollte man sich mind. 14 Tage Histamin-arm ernähren. Eine Liste mit entsprechenden Lebensmitteln erhalten Sie im Internet (z.B. hier: www.histaminintoleranz.ch, APP von www.lebensmittel-intoleranzen.info). Wenn sich Ihre Beschwerden deutlich bessern, ist dies ein Hinweis für das Vorliegen einer Histamin-Problematik im Darm.

Mögliche Labormessungen:

  • DAO-Aktivität
  • Histamin-Spiegel im Blut und/oder Stuhl
  • HNMT-Enzym-Abbauweg
  • Histamin-bildende Bakterien im Darm
  • Messung der Co-Faktoren der DAO: Vitamin B6, Kupfer …
  • Versorgung des Körpers mit Histamin-senkenden Mikronährstoffen: Vitamine, Mineralien, Omega-3-Fettsäuren
  • Progesteron (ein Progesteron-Mangel z.B. nach den Wechseljahren verstärkt die Histamin-Symptome)
  • Diagnostik auf KPU/HPU, oft Auslöser für eine erworbene (sekundäre) Histamin-Problematik
  • ggf. Marker für eine zusätzliche Mastzellaktivierung (Tryptase, Leukotriene, ECP …)

Auf Basis der Laborwerte erhalten Sie einen individuellen Therapieplan!

Enzyme wie DAO bauen Histamin ab

DAO ist ein Enzym, das Histamin im Körper abbaut. Der Nachweis einer verminderten DAO (Diaminooxidase) im Bluttest ist ein Hinweis auf eine Histamin-Intoleranz, reicht aber leider alleine nicht aus für die Diagnose einer Histamin-Intoleranz. Ebenso kann aufgrund eines normalen DAO-Wertes eine Histamin-Intoleranz nicht ausgeschlossen werden! Wichtig ist auch das Ergebnis der Histamin-armen Ernährung. Bei Bedarf können weitere Histamin-abbauende Enzyme und auch die Genetik getestet werden (z.B. das HNMT-Enzym).

 

Erworbene oder angeborene Histamin-Intoleranz

Zum Abbau des Histamins benötigt das Enzym DAO bestimmte Vitamine als sog. Co-Faktoren (z.B. Vitamin B6 und Kupfer). Es kann ein Mangel an diesen Vitaminen vorliegen, der zu einer DAO-Schwäche führt und dies wiederum führt zu Histamin-bedingten Beschwerden. Daher sollte man einen möglichen Mangel durch eine Blutmessung abklären und ggf. ausgleichen. Ein Beispiel: durch eine Überversorgung mit Zink (-Tabletten) kann es zu einem Kupfer-Mangel und dadurch zu einem gestörten Histamin-Abbau und in der Folge zu Beschwerden durch einen Histamin-Überschuß kommen.

 

Gestörte Darmflora und andere Begleitfaktoren

Auch andere Faktoren wie erhöhter oxidativer-nitrosativer Stress (Stoffwechselstörung) oder eine gestörte Darmflora mit zu vielen Histamin-bildenden Bakterien können Auslöser für eine gesteigerte Histamin-Bildung sein und dadurch Beschwerden verursachen. Dann liegt keine „echte“ sondern eine sog. erworbene Histamin-Intoleranz vor. Diese Phänomene erklären wahrscheinlich die vermeintliche Zunahme an Histamin-Intoleranzen, die wir seit einigen Jahren in der Praxis beobachten.

Therapie: zu Beginn weniger Histamin essen, langfristig v.a. Stoffwechsel- und Darmsanierung

Wenn die Diagnose gesichert ist, kann zu Beginn eine Histamin-arme Ernährung hilfreich sein. Dazu gibt es entsprechende Lebensmittel-Listen. Langfristig ist eine (strenge) Histamin-arme Ernährung keine gute Idee, da es zu einer Mangelernährung führen kann und außerdem das tägliche Essen und das Sozialleben sehr erschwert.

Bitte beachten Sie, dass auch Gluten (in Weizen) und Casein (Milch-Eiweiß) Beschwerden machen können und gemieden werden sollten. Außerdem ist (zumindest zu Beginn) eine Milchzucker/Laktose-arme Ernährung und eine Darmsanierung oft hilfreich. Die Einnahme bestimmter Vitamine & Mikronährstoffe (am besten auf Basis einer Laboranalyse) und bestimmte  Pflanzenstoffe lindern auch die Beschwerden und helfen bei der Heilung des gestörten Histamin-Stoffwechsels.

Langfristig kann man in der Regel wieder gewisse Mengen Histamin-haltiger Speisen vertragen und zwar abhängig vom individuellen Ausmaß der Histamin-Intoleranz (individuelle Toleranzschwelle). Ab einer gewissen Menge Histamin bekommt im Übrigen jeder Mensch Probleme. Die Fisch-Vergiftung z.B. entsteht durch eine erhöhte Histamin-belastung.

DAO-Tabletten ggf. für Restaurant-Besuche

Für Ausnahme-Situationen (z.B. Restaurant-Besuche) kann die Einnahme des DAO-Enzyms in Kapselform (DAOsin/DAOzym/Naturdao)  und/oder von Histamin-Blockern (H1-Rezeptorenblocker) hilfreich sein. Auch die Einnahme eines Histamin-Blockers (z.B. Ceterizin) bei Allergien und an den Tagen vor der Regel kann helfen, um (Menstruations-) Beschwerden zu lindern.

Medikamente können das DAO-Enzym hemmen

Verschiedene Präparate oder Medikamente können das DAO-Enzym hemmen (siehe entsprechende Listen). So wird bei der Gabe von 5-HTP bei der Umwandlung in Serotonin und dann weiter zu Melatonin zum Beispiel Vitamin B6 und SAM (aktiviertes Methionin) verbraucht, was auch für den Abbau von Mastzellen- und Gehirn-Histamin benötigt wird und dann fehlen kann. Daher wird z.T. von einer 5-HTP-Einnahme abgeraten.

Melatonin selbst ist ein natürliches Antihistaminikum und stabilisiert die Mastzellen. Zur Schlafunterstützung gibt es auch Schlafmittel, die Histamin-Blocker als Wirkstoff enthalten.

Histamin-arme Ernährung kann auch für Allergiker sinnvoll sein

Für Allergiker kann eine Histamin-arme Ernährung als unterstützende Massnahme ebenfalls sehr sinnvoll sein, da auch die allergischen Beschwerden (z.B. bei einer Pollen- oder Hausstaub-Allergie) durch Histamin vermittelt werden.  Wenn ich weniger Histamin esse, senke ich ingesamt die Histamin-Belastung im Körper. Dadurch werden andere Massnahmen wie Allergen-Vermeidung und Anti-Allergie-Tabletten (Anti-Histaminika wie Ceterizin) unterstützt. Zusätzlich können auch hier bestimmte Vitamine und Pflanzenstoffe eingesetzt werden, die eine natürliche Anti-Histamin-Wirkung haben. Nicht nur im Frühjahr zur Pollenzeit können diese Massnahmen erfolgreich eingesetzt werden.

Buch-Tipps:

„Der Histamin-Irrtum“, Frau Kyra Kauffmann

„Histamin und Seekrankheit“ von Prof. Dr. med. Jarisch

Mein Fazit aus der Behandlung von vielen Hundert Histamin-Patienten: mit Geduld, Zuversicht und guter Mitarbeit lassen sich die Beschwerden so gut wie immer lindern. Im besten Fall auch ganz beseitigen.

Alles Gute!

Niels Schulz-Ruhtenberg
Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin & Sportmedizin
Tätigkeitsschwerpunkt Ernährungsmedizin (Ärztekammer Hamburg)

P.S.: Eine weitere Störung im Histamin-Stoffwechsel ist das Mastzellaktivierungs-Syndrom (MCAS), hier erfahren Sie mehr dazu (<-Klick)

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